Mal schnell nach Armenien

von , 2. Juni 2023

titel-armenienSpazieren im Schnee und Cognac trinken –  Ein Kurzausflug nach Armenien.

Was tun, wenn sich ein paar arbeitsfreie Tage ergeben, sich die Turbulenzen einer Pandemie beruhigt und dadurch der Radius möglicher Reisen erweitert haben? Den Blick auf die Weltkarte richten und Möglichkeiten erörtern. Aufwand und Nutzen sollten nicht wieder in zu krassem Verhältnis stehen, wie „kurz mal für eine Woche nach Thailand“ – mit diversen Covid-Tests und Quarantäne. Nicht zuletzt wegen unaufwendiger Verbindungen, aber vor allem weil es von diversen Reisen in sehr guter Erinnerung geblieben ist, beschloss ich Anfang Mai 2022 wieder nach Armenien zu reisen. Bei der letzten Reise hatte ich den Aragats, ebenfalls im Frühjahr, bestiegen, also gedachte ich noch einmal über die zwischen Sevansee und der Araratebene gelegene Geghama-Kette zu gehen.

Anreise:

So begab ich mich an einem Freitagabend direkt aus der Fabrik zum Flugplatz, bestieg eine von mir sehr geschätzte Turboprop-Maschine nach Warschau, dort stieg ich um und befand mich früh um 5 Uhr am Flughafen Zvartnots unweit von Armeniens Hauptstadt im Nieselregen. Nachdem ich Geld getauscht und gefrühstückt hatte nahm ich ein Taxi nach Garni. Und, wie hätte es anders sein können in einer ehemaligen Sowjetrepublik, der Taxifahrer hatte natürlich in den 1980er Jahren bei den Westtruppen der Roten Armee in der DDR gedient, allerdings als Zivilangehöriger. Er sprach sehr gutes und gewähltes Deutsch, kannte alle Bezirke, schwärmte vom FKK-Strand in Warnemünde und fuhr nun nicht nur Taxi, sondern arbeitete auch als Guide für Touristen. So verging die Fahrt in angenehmer Konversation und im Morgengrauen befand ich mich an meinem Startpunkt.

Über die Geghama-Kette

Das Wetter hatte sich etwas gebessert und ich lief, nach einem sehr guten Kaffee aus den landesweit omnipräsenten Automaten am Wegesrand los, erst durch den erwachenden Ort und dann nach Nordosten, auf Straßen, Feldwegen und Pfaden. Langsam an Höhe gewinnend passierte ich hügeliges Weideland, sah Lagerstätten halbnomadischer Hirten und immer mehr Altschnee. Da ich das letzte Mal vor über 30 Stunden geschlafen hatte und die Sonne schien, nutzte ich dies für ein kleines Nickerchen im grünen Gras. Ich kam dann ganz gut voran, einzig die dunklen Wolkentürme hinter mir verhießen nichts Gutes. Bald setzte Donner ein, näher kommend und lauter werdend, und die damit einhergehenden Blitze waren durchaus respekteinflößend. Es gab weit und breit nichts, was hätte Schutz gewähren können, außer grüne Hügel und Gesteinsbrocken. Bald hagelte es und als Blitz und Donner sehr, sehr nahe waren kauerte ich mich hin. Doch das Gewitter zog vorbei, und ich spazierte weiter und erreichte bald Höhen mit einer geschlossenen Altschneedecke. Diese war oberflächlich verharscht, aber darunter teilweise sehr tief. Ich hatte mit Schnee gerechnet, neuem wie altem, aber die Dimensionen überraschten mich, und ich war dementsprechend suboptimal vorbereitet. Auf jeden Fall lag deutlich mehr Schnee als bei meinem letzten Ausflug in dieses Gebiet, obwohl dieser früher im Jahr stattfand. Schneeschuhe wären jetzt sehr praktisch gewesen, sie haben allerdings keine Handgepäcksdimensionen.

armenien-wandernMühselig war das Vorwärtskommen, immer wieder brach ich Knie-bis hüfttief ein, aber ich näherte mich langsam, laut fluchend und mit nassen Füßen, den höchsten Erhebungen. Die Wegwahl war die zwischen Pest und Cholera: entweder auf dem Schnee bleiben und hoffen, dass er möglichst gut trägt, oder über vereiste Blockfelder schlittern. Meist präferierte ich ersteres.

armenien-schneeZudem blies ein ziemlicher Wind, glücklicherweise von hinten. Gen Tagesende hatte ich nach über 30 Kilometern den Fuß des Azhdahak auf über 3000 m Höhe erreicht, entschied mich aber noch etwas weiter zu gehen. Zum einen waren mir die Mühen einer Besteigung in dieser Situation nicht plausibel, zum anderen wollte ich auf die Windschattenseite der Kette. Ich baute das Zelt auf, aß etwas Kaltes – einen Kocher hatte ich nicht mit – und schlief sofort fest und tief ein.

Der Morgen war frostig, aber nachdem die Sonne sich sporadisch zeigte und meine Stiefel aufgetaut waren, packte ich meine Sachen und ging relativ spät frohen Mutes weiter und bald bergab, und irgendwann hatten auch die elenden Schneefelder ein Ende und ich musste keine Angst mehr haben, beim nächsten Schritt wieder mit einem Bein zu verschwinden.

armenien-schnee-wandernEs wurde langsam wieder grün, hin und wieder ließ sich die Sonne sehen, in der Ferne der Sevan erahnen und die Luft wurde nun fast frühlingshaft warm.

…zum Sevan

Bald erreichte ich die erste Ortschaft, Tsaghkashen, und nachdem ich diese passiert hatte hielt neben mir ein Lada mit einer jungen Familie, der Sprössling lenkte auf dem Schoß des Vaters, die mich bis in den nächsten größeren Ort, Hatsarat, mitnahmen und mich an der Marshrutka-Haltestelle aussteigen ließen. So befand ich mich also auf dem Weg nach Jerewan, überlegte es mir aber anders und ließ mich in Sevan rauswerfen. Ich lief durch den Ort, nahm mir wegen des anhaltenden Nieselregens ein Taxi zur Sevan-Halbinsel, da ich wusste, dass die ehemalige Residenz des armenischen Schriftstellerverbands – ein Juwel moderner sowjetischer Architektur – nun ein Hotel war.

armenienIch hatte Glück, sie war geöffnet, wenn sie auch eindeutig bessere Zeiten gesehen hatte. Ich nahm mir ein Zimmer, duschte und spazierte über die Halbinsel. Ich genoss den Blick auf diesen faszinierenden See und die angrenzenden Berge, und auch die kleine alte Kapelle besuchte ich.

sevan-halbinsel-armenienEs hatte sich eine relativ dezente touristische Infrastruktur seit meinem letzten Besuch in Form von ein paar Buden und einem größeren Hotel entwickelt, die aber erst aus ihrem Winterschlaf erwachten. Abends speiste ich mit Panoramablick im Restaurant, unterbrochen von Einladungen zum Wodka vom Nebentisch, und begab mich bald ins Bett.

Jerewan

Am nächsten Tag lief ich auf Wegen oberhalb der Hauptstraße im Sonnenschein nach Sevan, fuhr dann nach Jerewan und bezog mein Quartier. Etwas ziviler gewandet spazierte ich dann durch Straßen und Parks und über Plätze dieser sehr angenehmen kleinen Metropole, was ich auch am Folgetag fortsetzte.

genozid-memorial-tsitsernakaberd-armenienDie Temperaturen waren frühlingshaft, die Einheimischen flanierten, und auch die Sonne ließ sich öfter mal blicken. Hin und wieder setzte ich mich vor ein Café und genoss zum Mokka auch den exquisiten armenischen Cognac.

opernplatz-kaffee-cognac-armenienBloß der Ararat war leider permanent in Wolken gehüllt und weder von Tsitsernakaberd noch vom Park des Sieges über der Stadt sichtbar. Wie beim letzten Besuch gab es wieder Straßenproteste, damals gegen die alte, nun gegen die neue Regierung, der vor allem Versagen beim letzten aserbaidschanischen Angriffskrieg gegen Artsakh 2020 vorgeworfen wurde. Ein Indiz einer anderen jüngsten postsowjetischen Grenzverschiebung mittels Waffengewalt war die auffällige Präsenz vieler junger russischsprachiger Menschen, deren Einkauf von Haushaltsgeräten weniger auf einen touristischen Aufenthalt als auf ein Einrichten fernab des Kremls schließen ließen. Ähnliches berichtete eine Freundin, die zur gleichen Zeit in Georgien weilte. Abends traf ich auf den Platz der Republik, wo zu klassischer Musik eine Choreographie aus Licht und Wasserfontänen ein wunderbares Ensemble bildeten.

platz-der-republik-armenienDoch auch dieser vierte Tag meiner Reise ging vorbei, ich ging früh ins Bett, da ich nachts um 3 zum Flughafen musste, melancholische Weisen aus dem Radio passten zu meiner Stimmung während der Taxifahrt durchs nächtliche Jerewan, da ich es schon wieder verlassen musste. Da ich ein Upgrade in die Business-Class ergattert hatte genoss ich das Frühstücksbuffet in der Lounge einschließlich eines Schlückchens Cognac.  Bei Morgendämmerung befand ich mich schon über dem Schwarzen Meer, schlief etwas, und am späten Vormittag wieder dort wo ich gestartet war: in der Fabrik. Kurzum, effektiver hätte ich die kostbare Freizeit kaum nutzen können.

sonnenaufganf-über-dem-schwarzen meer-armenien

 

„Gorni i Gorod“ – Berge und Stadt

von , 22. Juni 2014

Ueber die Geghama-Kette in Armenien. Foto: PhillippZiel meiner kurzen Reise war die Traversierung der Geghama-Kette in Armenien, dem „Staat des schreienden Gesteins“ (Ossip Mandelstam) mit Zelt, Rucksack und Schneeschuhen. Und selbstverständlich das mondäne Yerevan.

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